Trainer René Stüssi startet mit der 1. Mannschaft des SC Herisau in den nächsten Wochen in die neue Saison. Die ersten Spiele sind besonders wichtig. Denn die vergangene Saison war wegen Corona nur fünf Matches lang. Stüssi glaubt an das Potenzial der jungen Mannschaft. Und er setzt auf Förderung statt Druck.
(SC Herisau) Herr Stüssi, Sie wechselten vor 6 Jahren in nur fünf Tagen vom Eis auf die Trainerbank. Was war das für ein Gefühl?
Ich hatte mir immer geschworen: Wenn ich mal mit einem „Lätsch“ ins Training fahre, höre ich auf. Das habe ich dann auch durchgezogen. Der Wechsel zum Trainer hat sich sehr natürlich angefühlt. Ich war ja damals bei den „Pikes“ sowieso schon der Veteran im Team. Ich habe die Mitspieler also schon auf dem Eis begleitet und gefördert.
Was machen Sie jetzt anders als vor sechs Jahren?
Vieles! Man sollte schliesslich etwas lernen (lacht). Am meisten haben sich wohl die Spieler verändert. Es fand in den vergangenen Jahren ein Generationenwechsel statt. Die Jungen funktionieren anders als wir damals. Und natürlich haben sich auch Material und Taktik modernisiert.
Was meinen Sie mit «anders»?
Nun, wir wurden damals noch viel härter angefasst. Da gab es kein links und rechts, keine Alternativprogramme. Mit dieser Herangehensweise kommt man heute nicht mehr weit. Die jungen Spieler sind sensibler. Darauf muss man als Trainer Rücksicht nehmen. Das ist aber auch eine grosse Chance.
Warum?
Der mentale Aspekt des Trainings und der Spielvorbereitungen rückt so mehr in den Fokus. Und das ist auch gut so. Denn früher wurde er oft unterschätzt. Mir ist bewusst, dass meine Spieler nur dann ihre Leistung abrufen können, wenn sie im Kopf bei der Sache sind.
Das heisst, Sie sind nicht nur Trainer, sondern auch ein bisschen Psychologe. Ist das nicht anstrengend?
Psychologe und manchmal auch etwas Papa (lacht). Das ist nicht immer einfach, ja. Aber mir liegt dieser menschliche Ansatz. Und ich habe Verständnis für die privaten und beruflichen Herausforderungen, mit denen die Spieler nebst dem Eis zu kämpfen haben. Das sind keine Profis. Mit reinem Druck kommt man da nicht weit. Man muss ihnen auch den nötigen Raum geben.
Der SCH zahlt den Spielern der 1. Mannschaft keinen Lohn aus. Ist das der richtige Ansatz?
Davon bin ich überzeugt. Ich bin der Meinung, das sollten alle Teams in der 1. Liga so handhaben. Schliesslich ist das nach wie vor eine Amateur-Liga. Für die Spieler ist es meist ein Sprungbrett oder eben ein Hobby. Da sind überrissene Löhne meiner Meinung nach fehl am Platz.
Machen Sie sich keine Sorge, dass Ihnen die Spieler davonlaufen?
Wechsel lassen sich nicht vermeiden. Aber das gehört dazu, und ist auch bis zu einem gewissen Grad die Rolle eine Nachwuchs-Vereins wie dem SCH. Aber ich sorge mich nicht um unser intaktes Team. Einerseits haben wir in der 1. Mannschaft einen sehr tiefen Altersdurchschnitt – sprich noch viel Potenzial. Und andererseits entscheiden sich die meisten Spieler in dieser Liga nicht für einen Club aufgrund des Geldes.
Sondern?
Ich kenne die Schweizer Eishockey-Szene gut. Da bekommt man auch mit, was Spieler und Trainer untereinander so besprechen. Und es wird viel gequatscht (lacht). Wichtigste Entscheidungsgrundlage – besonders für die Jungen – ist, dass sie Spielerfahrung sammeln. Und das können wir hier versprechen. Wer in meinem Team spielt, bekommt auch Eiszeit.
Bald startet die neue Saison. Hoffentlich mit mehr Spielen als letztes Mal. Wie ist die Stimmung im Team?
Die ist sehr gut! Die Trainingsbereitschaft war in den vergangenen Monaten top. Trotz den Unsicherheiten wegen Corona. Die Jungs sind hungrig und können die ersten Spiele kaum abwarten.
Sie sprachen bereits vom grossen Potenzial der Mannschaft. Was ist mit dieser Meisterschaft möglich?
Möglich ist sehr viel. Aber eine konkrete Vorhersage zu machen, ist in dieser Situation schwierig. Dafür fehlt mir das nötige Vorwissen aus der vergangenen Saison. Ich weiss, dass wir das Talent, die körperliche Fitness, Disziplin und den Teamgeist mitbringen. Aber es ist auch ein junges Team. Entscheidend wird sein, wie sie sich in Drucksituationen schlagen.
Aber die Playoffs sollten drin liegen, oder?
Die Playoffs müssen immer das Ziel sein. Wozu spielt man sonst?
Sie sagten es bereits: Ihre Spieler haben auch ein Leben nebst dem Eishockey. Leider gehören Verletzungen auch zu diesem Sport. Was können Sie tun, um ihnen vorzubeugen?
Mit dem richtigen Training können viele der «kleineren» Verletzungen verhindert werden. Am wichtigsten sind dafür Rumpfstabilität und allgemeine Fitness. Entsprechend intensiv arbeiten wir deshalb daran.
Und wie ist die Fitness?
Die ist sehr gut. Das Sommertraining lief bisher perfekt. Wir gehen gut vorbereitet in die neue Saison.
Sie haben aufgehört zu spielen, als sie mit einem «Lätsch» ins Training fuhren. Nun starten sie beim SCH in die 2. Saison. Noch kein „Lätsch“?
Nein, bisher nicht (lacht). Mir gefällt es hier. Stimmung, Infrastruktur und Organisation stimmen und das sportliche Potenzial ist gross. So schnell gehe ich nicht.
Zur Person
Der 42-jährige René Stüssi aus Uttwil ist ehemaliger NLA-Spieler. Seine Eishockey-Karriere begann in Kreuzlingen. Anschliessend wechselte er zum 1.-Ligisten EHC Uzwil. Danach gelang ihm als 16-Jähriger der Sprung zu den Profis in der NLB beim HC Thurgau. Auch die NHL zeigte Interesse an dem jungen Talent: Im NHL Entry Draft 1997 wurde er von den Mighty Ducks of Anaheim ausgewählt. Die anschliessende Einladung zum Trainingslager blieb dann aber aus. Stattdessen wechselte Stüssi in die NLA und spielte für die Kloten Flyers, den EV Zug, die ZSC Lions und den EHC Chur. Seine aktive Zeit liess er schliesslich bei den Pikes EHC Oberthurgau auslaufen. Dort tauschte er den Stock vor sechs Jahren gegen die Trainerbank. René Stüssi wohnt in Uttwil, ist verheiratet und hat drei Kinder.